Chevrolet Camaro (2012)

Fahrbericht Chevrolet Camaro
Das Kultauto im Alltagstest

Auto-xxl — Fahrbericht vom 28.04.2012
Kultautos gibt es nicht viele, denn diesen Status zu erreichen ist nicht gerade einfach. Merkmale hierfür sind die spektakuläre Modellgeschichte, das Hervorstechen aus dem automobilen Einheitsbrei sowie eine glanzvolle Vergangenheit, etwa so wie beim Chevrolet Camaro.




Im April 1964 kam es auf dem amerikanischen Automarkt zu einer Art Urknall. Ford präsentierte den Mustang: ein sogenanntes "Pony-Car". Das Erfolgsrezept: eine sportliche - für amerikanische Verhältnisse - kompakte Coupé-Form, ein dicker Motor mit möglichst acht Zylindern unter einer langen Fronthaube, einfache alltagstaugliche Technik und ein günstiger Preis. Der Wettbewerb, vom Mustang-Erfolg aufgescheucht, kommandierte mit Nachdruck alle zur Verfügung stehenden Entwickler an die Zeichenbretter, um so schnell wie möglich angemessene Konkurrenten auf die Räder zu stellen.

Chevrolets Antwort auf den Ford-Mustang lautete ab 1966: Camaro. In jenen letzten Tagen automobiler Unschuld in den späten Sechzigern des letzten Jahrhunderts formierten sich die Pony-Cars zu rasant wachsenden Herden mit Motoren, die schließlich an der 500-PS-Hürde Mass nahmen. Die Ölscheichs versauten mit der ersten Ölkrise von 1973 die Party und beendeten die Ära der "Muscle Cars". Wie seine Konkurrenten verkümmerte der Camaro von Generationswechsel zu Generationswechsel, bis 2002 nach vier Modell-Reihen das vorläufige Ende kam.

Nun mit Nummer Fünf die Wiedergeburt des Camaro, die sich auf 2009 datiert. Nachdem fast drei Jahre lang der graue Import die Nachfrage der eingefleischten Fans gestillt hat, bekennt sich nun Chevrolet auch in Deutschland zu dem kernigen Coupé und hat es offiziell ins Verkaufsprogramm aufgenommen. Und das ist gut so. Denn Coupé und Cabrio mit 318 kW/432 PS reihen sich leistungstechnisch unter die Elite der Sportler ein. Preislich rangieren die beiden Chevy-Sportler freilich in der Mittelklasse. 38 500 Euro für das Coupé und 43 900 für die offene Version sind angesichts der gebotenen Leistung und Ausstattung eine Kampfansage an das sportliche Establishment.

Das Spannungsfeld aus Preis und Leistung fordert zur Entnahme einer gründlichen Fahrprobe geradezu heraus. Mit 4,84 Meter streckt sich der aufregend gezeichnete Zweitürer repräsentativ und bullig auf seinem Standplatz. Zumal ihn der Hersteller auch auf mächtige Räder mit 20 Zoll Durchmesser stellt. Vor Antritt der Fahrt gilt es, eine vielköpfige Knabenschar mit mildem Nachdruck zu verscheuen, die sich die Nasen an den Seitenscheiben plattdrückt. Die jugendliche Zielgruppe erweist sich durch drei "Transformer"-Filme, in denen der Camaro eine Hauptrolle spielt, derart sensibilisiert, dass sie den realen Auftritt des Stars mit Begeisterung quittiert und vor allem auf die Startprozedur des V8 mit 6,2 Liter Hubraum lauert.

Die muss noch für einen Moment zurückstehen, bis sich der Fahrer im eher komfortablen als sportlichen Gestühl zurechtgerückt hat und das Auge über Cockpit und Interieur gleiten lässt. Sicher sind die Materialien und Oberflächen nichts für Haptik-Hypochonder, die sich am hochpreisigen Mückenrüssel-Lederbezügen der automobilen Premiumwelt geeicht haben. Im Camaro breitet sich ehrliches Plastik in verschiedenen Härtegraden und entspannter Verarbeitungsqualität aus. Vier Zusatzinstrumente in nostalgischer Formgebung auf der Mittelkonsole leuchten wie Tacho und Drehzahlmesser mit türkisgrüner Leuchtkraft.

Und dann kommt der Augenblick, auf den Fahrer und Fans so sehnlich gewartet haben. Der V8 erwacht zum Leben: dumpf grummelnd im stabilen Leerlauf, bollernd bis böse in die Mittellage des Drehzahlbandes wechselnd, um sich dann zornig brüllend bis zur Grenze von 5 900 U/min zu steigern, dass zumindest die Buben mit Walddorf- oder Montesori-Hintergrund mit verängstigten Blicken nach hinten wegtreten. Bei der Kraftübertragung richtet Chevrolet zwei Getriebemenüs mit jeweils sechs Gängen an: einmal manuell oder als Alternative automatisch gewechselt. Mehr als sechs Liter Hubraum und 556 Newtonmeter maximales Drehmoment bestätigen die Wahl der Automatik-Version als die richtige.

Durch die Innenstadt bollert der Wagen ohne Murren und Knurren wie der Mittelklässler Cruze aus gleichem Hause. Auf der kurvenreichen Landstraße packt der Camaro die erste große Überraschung aus. Vorbei die Zeiten der Vorgänger mit einer steinzeitlichen Starrachse für die angetriebenen Hinterräder, der aktuelle Camaro bietet aufwendige Einzelradaufhängungen, eine beinahe ausgeglichene Gewichtsverteilung von 52 zu 48 Prozent zwischen den Achsen, ein elektronisches Stabilisierungsprogramm in vier wählbaren Stufen und eine Bremsanlage des italienischen Spezialisten Brembo. Damit lässt sich richtig zügig um die Ecken räubern, ohne die letzten Prozente wirklich zu vermissen, die da ein Porsche 911 noch zulegen könnte. Im öffentlichen Straßenraum ist der Grenzbereich des Bigmac-Coupés in jedem Fall erst im strafrechtlich relevanten Bereich erreicht.

Die 432 PS haben keine Mühe den 1,8-Tonner aus dem Stand in 5,2 Sekunden auf 100 Sachen zu beamen. 250 km/h Höchstgeschwindigkeit sind problemlos machbar, ohne das lederne Lenkrad mit einem Schweißfilm zu überziehen. Der Normverbrauch von 14,1-Liter auf 100 Kilometer mag den Öko-Aktivisten bis an den Rand des Blutsturzes führen, ist aber realitätsnah. Gelöstes Bummeln ist auch mit zehn Litern möglich.

Der neue Camaro ist ein Auto, das nur zwei Betrachtungsweisen erlaubt: Verbundenheit auf Lebenszeit mit hohem Suchtfaktor oder empörte Verdammung als viel zu grell auftretender Exzess automobilen Hedonismus. Der Autor bekennt sich ohne Reue und mit breiter Brust zur ersteren Betrachtung.

Thomas Lang/mid


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