Verkehrsrecht, Bussgeldkatalog, Punkte in Flensburg

Radler in der Kritik
Richter mit Zweiradrüpeln nicht immer zimperlich

Der Deutsche Verkehrsgerichtstag spricht von "lebensgefährlichen Verhaltensweisen" vieler Fahrradfahrer. Damit meint er die Radler, die ohne Licht fahren, Einbahnstraßen falsch herum benutzen und Ampeln ignorieren. Schärfere Kontrollen durch die Polizei seien nötig sowie härte Strafen. Dem widerspricht der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) und argumentiert, "man mache es sich zu einfach", die wachsende Aggressivität im Straßenverkehr den schwarzen Schafen unter den Radlern zuzuschreiben. Wie hoch die Zahl der Rüpelradler nun ist, kann nicht ermittelt werden. Dass es sie gibt, ist unstrittig. Allein die Tatsache, wie oft "Rambos auf zwei Rädern" vor Gericht stehen, verdeutlicht das:GehwegraserAuf einem Gehweg kam es zu einer Kollision zwischen einem aus einem Grundstück ausfahrenden Auto und einer erwachsenen Fahrradfahrerin, die den Bürgersteig unerlaubt und zusätzlich in der "falschen" Richtung benutzt hatte.

Der Autofahrer plädierte auf Freispruch. Üblicherweise bringt nämlich allein die Tatsache, dass ein Kfz geführt wird, eine "Betriebgefahr", also eine Mitschuld. Er hielt das Fehlverhalten der Radlerin aber für dermaßen gravierend, dass er schuldlos gewesen sei. Das Saarländische Oberlandesgericht sah das anders. Es konnte aufgrund fehlender Zeugen nicht endgültig festgestellt werden, dass der Autofahrer die "strengen Sorgfaltsanforderungen beim Ein- und Anfahren beachtet hatte" und er den Zusammenstoß nicht habe verhindern können. 30 Prozent des Schadens (unter anderem eine gebrochene Schulter und ein demoliertes Mountainbike) musste seine Kfz-Haftpflichtversicherung tragen (Saarländisches OLG, 4 U 355/10-107).

Umgekehrt: Ein Fahrradfahrer im Raum Darmstadt raste in entgegengesetzter Fahrtrichtung auf einem Gehweg und stieß mit einem Auto zusammen, das von einem Parkplatz kam. Hier hielt das Gericht den Autofahrer für schuldlos. Denn der Radler habe "grob verkehrswidrig" gehandelt, indem er mit einer Geschwindigkeit von rund 20 km/h "dermaßen neben der Spur" unterwegs war. Trotz einer Vollbremsung kam es zur Kollision. Das Gericht wies die Schadenersatz- und Schmerzensgeldforderung des "Fahrradrowdys" zurück. Sein Verschuldensanteil sei so erheblich, dass die vom Auto ausgehende Betriebsgefahr auf "0" gesunken sei (AmG Darmstadt, 304 C 181/08).Rote AmpelEin Radler fuhr auf dem linken Radweg trotz entsprechender Verbotsschilder in falscher Richtung und kollidierte mit einem entgegenkommenden, also korrekt radelnden Biker. Darüber hinaus hatte der "Falschfahrer" unmittelbar vor dem Crash eine rote Ampel "überfahren." Das Oberlandesgericht Celle sprach dem Fahrrad-Rambo die alleinige Schuld an dem Unfall zu (Oberlandesgericht Celle, 18 U 83/05).

Entgegen der EinbahnBemerkenswertes Urteil vom Amtsgericht Frankfurt am Main: Das hat entschieden, dass Fahrradfahrer auch dann nicht bei einem Zusammenstoß mit einem Autofahrer haften, wenn sie eine Einbahnstraße entgegengesetzt befahren. Ein Autofahrer verlangte hier vom Radler vergeblich die Begleichung der Werkstattrechnung für die an seinem Fahrzeug vorgenommen Reparaturen in Höhe von 800 Euro. Der Autofahrer war eine schmale Nebenstraße entlanggefahren, um nach links in eine Garageneinfahrt abzubiegen. Dabei stieß der auf dem rechten Radweg entgegenkommende Radfahrer gegen den Wagen und verursachte den Blechschaden. Weil das Radfahren auf einem Radweg in entgegengesetzte Richtung der Einbahnstraße nicht generell verboten sei, hier war es das auch nicht durch ein Zusatzschild, müsse der Radfahrer nicht haften. Das gelte umso mehr, weil er immerhin "rechts" gefahren sei (AmG Frankfurt am Main, 30 C 946/09-47).

Auf dem RadwegDer Bundesgerichtshof (BGH) nahm einen Radler mehr in die Pflicht. Der Zweiradfahrer war hier auf einem vom Bürgersteig farblich abgetrennten Radweg unterwegs und näherte sich einer Bushaltestelle. Dort stand eine Frau auf dem Bürgersteig, die ihm den Rücken zukehrte. Er klingelte bei einem Tempo von rund 15 km/h circa zehn Meter vor ihr, fuhr ansonsten ungebremst weiter. Plötzlich machte die Dame einen kleinen Schritt Richtung Radweg. Der Radler ging mit der Vorradbremse "voll in die Eisen" und über den Lenker. Er verletzte sich schwer und forderte von der Frau Schadenersatz und Schmerzensgeld. Im Kern vergeblich. Die Vorinstanz als Tatsacheninstanz muss endgültig festlegen, wie gering das Verschulden der Frau gewesen ist. Der BGH hat jedenfalls geurteilt, dass er "jederzeit hätte bremsbereit sein müssen" und somit zum größeren Teil verantwortlich für den Unfall war (BGH, VI ZR 171/07).

Ganz ähnlich ein Fall vor dem Oberlandesgericht München. Es entschied auch, dass auf einem gemeinsamen Geh- und Fahrradweg neben der geltenden gegenseitigen Rücksichtnahmepflicht ein Radfahrer auf erkennbare Fußgänger besonders zu achten und gegebenenfalls anzuhalten hat. In dem konkreten Fall war ein Fahrradfahrer auf einem solchen Gemeinschaftsweg unterwegs und näherte sich von hinten einer Fußgängerin. Obwohl er zweimal klingelte, bemerkte die Frau den Radler offenbar nicht, was ihn nicht davon abhielt, mit gleichem Tempo weiterzufahren. Als er die Fußgängerin fast erreicht hatte, machte die einen Schritt zur Seite, und es kam zur Kollision. Das Gericht entschied, dass die Haftungsquote mit 2/3 zu 1/3 zulasten des Radfahrers ausfalle. Er hätte seine Geschwindigkeit so weit reduzieren müssen, dass er jederzeit gefahrlos zum Stehen hätte kommen können, gegebenenfalls bis runter zur Schrittgeschwindigkeit (OLG München, 10 U 2809/09).

Weitere Urteile zum Thema in Kurzform:Unaufmerksame Radfahrerin kann Alleinschuld an Crash mit Pkw habenFährt eine Fahrradfahrerin trotz des Schildes "Vorfahrt gewähren" ungebremst in die vorfahrtsberechtigte Straße und stößt sie dort mit einem Auto zusammen, so trägt sie die Alleinschuld an dem Unfall. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie das Verkehrsschild gesehen hat oder nicht. Die Betriebsgefahr des Pkws tritt, so das Oberlandesgericht Köln, "hinter das erhebliche Verschulden der Frau zurück", ist also auch nicht mit einem geringen Prozentsatz gegenzurechnen (AZ: 20 U 107/07).

Geringer Sicherheitsabstand kostet ein FünftelHält ein Autofahrer beim Überholen einer Radfahrerin, die ihr 5-jähriges Kind im Kindersitz befördert, den erforderlichen und möglichen Sicherheitsabstand von zwei Metern nicht ein, so trägt er ein Fünftel des Schadens, wenn die Radlerin ohne Rücksicht auf den nachfolgenden Verkehr links abbiegt und mit dem Pkw kollidiert (Oberlandesgericht Naumburg, 12 U 29/05).Manchmal kann es "unabwendbar" seinFährt ein (hier: 67-jähriger) Radfahrer auf einem Gehweg parallel zur Straße und biegt er plötzlich an einer abgesenkten Bordsteinkante nach links auf die Straße ein, so kann der aus dem verkehrswidrigen Verhalten des Radlers resultierende Zusammenstoß mit einem "vorschriftsmäßig" fahrenden Auto für die Fahrerin des Wagens ein "unabwendbares Ereignis" darstellen. Im konkreten Fall mit der Folge, dass die Betriebsgefahr ihres Fahrzeugs auf "0" sinkt und der Fahrradfahrer allein für seinen sowie den Schaden am Auto (hier in Höhe von 3.500 Euro) haften muss. Der Mann konnte auch nicht mit dem Argument gegen seine Alleinhaftung angehen, dass er als "verkehrsschwache Person" hilfebedürftig sei. Das ist bei einem 67-Jährigen nicht anzunehmen, der gerade erst aus dem Berufsleben ausgeschieden ist und sich ansonsten vor dem Unfall ohne Fehler im Straßenverkehr bewegt hat (Landgericht Regensburg, 1 O 1708/04).

Wer den Radweg nicht benutzt, bekommt nur die HälfteFährt ein Fahrradfahrer auf einer Landstraße nicht auf dem vorhandenen Radweg, muss er eine Kürzung seines Schmerzensgeldes (hier um 50 %) hinnehmen, auch wenn grundsätzlich ein Autofahrer die Schuld an seinen Verletzungen trägt. In einem Fall vor dem Landgericht Schwerin stürzte der Fahrradfahrer, weil er ein seinen Weg kreuzendes Auto (das vor ihm abbiegen wollte) zwar abbremsend, jedoch dann wieder kurz anfahrend sah und abrupt in die Eisen ging und dadurch stürzte. Die Nichtbenutzung des Radweges führte in diesem Fall zur Kürzung des Schmerzensgeldes auf 1.000 Euro (AZ: 6 S 144/03).

Wer auffährt, der hat SchuldFährt ein Radfahrer auf einen langsam vor ihm fahrenden Pkw auf und werden sowohl das Auto als auch das Fahrrad beschädigt, haftet der Radler (beziehungsweise seine Privathaftpflichtversicherung) allein für den Schaden, wenn ein Sachverständiger klären kann, dass der Autofahrer nicht gebremst hat und der Radfahrer genügend Platz zum Ausweichen gehabt hätte (Oberlandesgericht Celle, 14 U 91/03).

Auf dem Bürgersteig hat der Radler schuld Fährt eine Radfahrerin verbotenerweise auf dem Bürgersteig und wird sie von einem rückwärts aus einer Grundstückseinfahrt fahrenden Pkw erfasst, kann sie vom Autofahrer weder Schadenersatz noch Schmerzensgeld verlangen, weil ihr Verkehrsverstoß so gravierend war, dass selbst die Betriebsgefahr des Wagens außer Acht bleibt (Oberlandesgericht Celle, 14 U 222/02). (ar)